1864 -
Augsburg [u.a.]
: Rieger
- Hrsg.: Frey, Michael, Büschl, Andreas
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
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hingen, eine der gewerbsamstcn Städte des Landes, hat mehrere Fabriken.
4) Im Jartkreise, mit der Hauptstadt Ell Wangen, ist Gmünd mit
einem Schullehrerseminar und Hall, wo die ersten Haller geprägt wurden,
bemerkenöwerth. In der Nähe von Gmünd treffen wir einen Berg (Hohen-
staufen), an welchem sich eine Menge geschichtlicher Erinnerungen von großer
Wichtigkeit anknüpfen lassen (Siehe 1. Th. Sette 168.)
6) Das Königreich Sachsen.
(272 O.-M., 1,900,000 Mnw.)
Das Königreich Sachsen liegt zwischen Bay ern, Böhmen, Preußen
und den sächsischen Herzogthümcrn. Es ist nur noch ein kleiner
Theil des alten Sachsenlandes, zu welchem der größte Theil von Nordwest-
Deutschland gehörte. Sein Hauptgebirg ist daö Erzgebirg, an welches
sich die sächsische Schweiz anschließt. Kein Land ist verhältnismäßig so reich
an Mineralien als Sachsen, denn man schätzt die jährliche Ausbeute seiner
Bergwerke auf 2 Millionen Thaler, und cs sind in 460 Gruben gegen
12,000'Menschen beschäftigt, den Reichthum an Silber, Kupfer, Eisen, Blei
und Zinn zu Tage zu fördern. Der Getreidebau im Meißnischen, Leip-
ziger und Votgtländischen Kreise reicht für diese Gegenden wohl hin, aber
nicht für das Erzgebirg und die Lausitz, obgleich die Kartoffel manche Lücke
ausfüllt. Die Schafzucht ist bedeutender, als die übrige Viehzucht; denn
Sachsen erzeugt die feinste Molle, die jetzt im Lande verarbeitet wird, chr-
mals aber nach England und Holland ausgeführt wurde und als feinstes
englisches Tuch wieder zurückkam.
Wo die Natur des Bodens es gestattet, hat der fleißige Sachse denselben
angebaut. In den Gebirgsgegenden aber finden sich emsige Weber und
Strumpfwirker und weiter hinauf thätige Eisenarbeiter, Bergleute, Köhler
und Holzbauern. Letztere sind, mit Ausnahme weniger Monate, immer in
den Wäldern beschäftigt und wohnen in Hütten, die halb in die Erde ge-
graben und mit Holz/Reisig und Rasen bedeckt sind. Im. Hintergründe ist
daö aus Moos verfertigte Lager des Bewohners, und vor demselben wird in
der kältern Jahreszeit auf einem Herde ein Feuer unterhalten. Schwerer
noch ist der Beruf der Bergleute, die ungeachtet aller Vorsicht stets mit
Todesgefahr umgeben sind; aber die Hütten!ente vor ihren Schmelzöfen
und die Arbeiter in den Gifthütten, die Arsenik und gifthaltige Farben
bereiten, sind nicht viel besser daran, wenn sie sich auch durch Verbinden des
Mundes, durch den Genuß von Milch und Butter und durch das Bestreichen
der Nasenlöcher mit Essig und Leim gegen die Giftdämpfe zu schützen suchen.
Ein Hanptinduftriezweig ist im Erzgebirge für das weibliche Geschlecht
das Spttzenklöppeln, welches dort so allgemein betrieben wird, wie bei
uns das Wcißfticken. Es bringt viel Geld ein und beschäftigt wenigstens
50,000 Menschen.
Die Hauptstadt des Königreichs Sachsen ist die schöne, gewerbsame Stadt
Dresden an der Elbe (90). Eine andere wichtige Fabrik- und Handels-
stadt ist Leipzig, der Hanptsitz des deutschen Buchhandels. Außerdem ist
die Stadt durch die entscheidende Schlacht gegen Napoleon den 16—19. Oktober
1813 besonders merkwürdig geworden. Andere berühmte Fabrikstädte sind:
Chemnitz, Zwickau und Bautzen.
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eigenen Blutegelteichcn wie im Zimmer ist mit wenig Mühe verbunden und
würde, wenn man sich mehr damit abgeben wollte, die Arbeit reichlich
lohnen. Man verwahrt die Blutegel am besten in einem gläsernen, mit
Flußwasser halbgefüllten Gefäße und erneuert das Wasser im Sommer jede
Woche und im Winter alle 14 Tage; über das Gefäß bindet man ein Stück
dünner Leinwand. Die Blutegel, welche gebraucht sind, bringt man in ein
besonderes Gefäß, denn es dauert längere Zeit, bis sie das ausgesaugte Blut
verdaut und wieder Lust haben, von Neuem anzubeißen. In Teichen, Grä-
den und Sümpfen findet man Pferdeegel, welche wohl auch Blut aus-
saugen, aber üble, leicht in Eiterung übergehende Wunden machen und deß-
halb nicht anstatt der echten Blutegel gebraucht werden können. Man unter-
scheidet sie leicht von den wahren Blutegeln, denn diese haben sechs rothgelbe,
meist schwarzpunktirte Längsstretfen auf dem Rücken, die Roßegel haben aber
keine solchen Linien, sondern nur bisweilen einige Flecken oder rostfarbene
Seitenlinien.
Die Re gen Würmer leben in der Erde, besonders in solcher, welche
locker und fett ist, und man kann sie hier nach dem Regen in großer Menge
auf die Oberfläche hervorkriechen sehen. Sie nähren sich von faulenden
Stoffen, zarten Würzelchen und Blättchen, und sie selbst dienenden Maul-
würfen, Vögeln und Fischen zur Nahrung. Die Fischer sammeln die Regen-
würmer gern, um sie als Köder beim Fischfänge zu gebrauchen. Die Wür-
mer haben ein sehr zähcs Leben, und aus einem Wurm können zwei ent-
stehen; denn wenn man einen Regenwurm auseinander schneidet, so wächst
alsbald ein jeder Theil für sich weiter, so daß er ein ganzer Wurm wird.
Eine Menge von Würmern leben in den Körpern anderer Thiere und
verursachen durch ihre Gegenwart viele Qualen. Auch der Mensch ist nicht
selten mit diesen ungebetenen Gästen behaftet. Solche Eingeweidewürmer
haben verschiedenes Aussehen und verschiedene Wohnorte bet den einzelnen
Thieren. Bet den Kindern findet man hauptsächlich zweierlei Arten, nämlich
Spulwürmer, welche die Dicke einer Federspule, eine Länge von
erreichen und große Aehnlichkeit mit den Rcgenwürmern haben, und Maden-
würmer spfricmenschwänze), die ganz weiß, so dünn wie ein Faden und
höchstens einen halben Zoll lang sind. Der Bandwurm kommt öfter bet
erwachsenen Menschen, als bet Kindern vor, und verursacht sehr große Be-
schwerden. Er hat Aehnlichkeit mit einem schmalen, gegliederten Bande und
kann 10-12 Ellen lang werden. Die Zahl der Mittel, welche man gegen
den Bandwurm beim Menschen anwendet, ist sehr groß, er widersteht aber
bisweilen allen Bemühungen zu seiner Abtreibung, da wohl oft viele Ellen
lange Stücke abgehen, der Kopf aber zurückbleibt und von diesem aus das
Thier von Neuem fortwächst. In den heißen Ländern Afrika's und Asiens
findet sich ein langer fadenförmiger Wurm, der Fadcnwurm, welcher sich
in den Füßen der Menschen einbetßt und durch die Fleischmasse des Körpers
lange Gänge gräbt, bis er sich irgendwo einen Ausgang durch die Haut
sucht und ausgezogen wird.
Aehnlich sind die Leberegcl, welche-man in der Leber der Pferde,
Schweine, besonders aber der Schafe findet, wenn sie auf nassen Weiden
gehen.
Weichthiere nennt man eine ganze Reihe unvollkommener Thiere,
deren Körper nicht aus Gliedern, sondern nur aus gallertiger Masse besteht,
und welche weder Arme noch Beine haben; viele von ihnen sind sogar ohne
Kopf. Ein Theil der Weichthiere ist weich und schleimig, andere haben eine
oder zwei harte Schalen über sich. Von den letzteren heißen die mit einer
Schul« und Lesebuch, Ii. Theil. ^ 12
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einzigen gewundenen Schale versehenen: Schnecken, jenemit zweischalen:
Muscheln. Die große schwarze Waldschnecke lebt in unseren Wäldern,
die Erdschnecke oder Acker sch necke auf Feldern und in Gärten; beide
sind nackt und mit einem klebrigen Schleime überzogen, von dem sie überall
auf dem Wege, welchen sie zurücklegen, Spuren htnterlaffen. Sie vermehren
sich in nassen Jahren bisweilen so stark, daß sie die Korn -, Rüben - und
Erbsenselder ganz vernichten und an Kohl, Bohnen und Kartoffeln erheb-
lichen Schaden anrichten. In Obstgärten, auf Acckern und dgl. trifft man
Schnecken von verschiedener Große, welche ein Schneckenhaus um sich haben,
so daß man von ihnen sagen kann^ ein Jeder trägt sein eigenes Haus aus
dem Rücken mit sich herum, wenn er kriecht. Daö Thier selbst, welches im
Schneckenhaus wohnt, hält sich bisweilen verborgen in demselben, zu anderer
Zeit streckt es einen Theil seines Körpers heraus, so daß man den Kopf
mit seinen fleischigen Hörnern und den Bauch sehen kann. Auf zweien von
ihren Fühlhörnern sitzen Augen. Die große Weinbergs sch necke verkriecht
sich beim Eintritt der kalten Witterung in den Boden und schließt dann ihr
Haus mit einem kalkigen Deckel zu. Man liest sie auf, um sie zu essen,
und es werden zu diesem Zwecke aus Süddeutschland und der Schweiz, wo
man sie sogar eigens mästet, jährlich Hunderttausende dieser Thiere in andere
Länder, namentlich nach Italien verschickt. Im Meere gibt es Schnecken
mit großen, harten und oft auf daö herrlichste gefärbten Schalen, welche die
Seeleute als Seltenheiten und Spielzeug für ihre Kinder mit nach Hause
bringen.
Die Muscheln haben zwei mehr oder weniger gewölbte Schalen um
sich; innerhalb derselben sitzt das Thier, welches die Schalen nach Be-
lieben öffnen oder schließen kann. Die in Muscheln lebenden Thiere haben
keinen Kopf, aber einen großen Mund, der in ihren Körper hineinführt.
Gewisse Muscheln sitzen auf Klippen im Meere, auf Pflanzen und an
Schiffen, oder auf dem Sande des Meerbodens fest, andere schwimmen um-
her. Von einigen Arten von Muscheln erhält man das schone Perlmutter;
an gewissen Orten sammelt man ganze Schiffsladungen von Muschelschalen
und brennt Kalk aus ihnen, denn sie bestehen zum größten Theile aus den-
selben Stoffen, wie die Kalksteine und die Kreide.
Zu diesen Thieren gehören die Austern, die man an allen Meeres-
küsten der gemäßigten und heißen Erdstriche auf Felsen oder auf lehmigem,
sandigem Grunde im Meere, den sogenannten Austerbänken, findet. Das
Fletsch in ihnen oder vielmehr das Thier selbst wird lebend gegessen und gilt
als eine sehr leckere Speise.
In manchen Muscheln findet man runde, glänzende und harte Körper,
die Perlen genannt und sehr theuer bezahlt werden. Man benützt sie als
Schmuck und sie waren schon vor Jahrtausenden im Morgculande bekannt.
Solche Perlen muscheln gibt es in einzelnen seichten, steinigen Gebirgs-
bächen Deutschlands; Perlen aber findet man kaum in mehr als einer oder
zweien unter hundert Muscheln. Häufiger trifft man sie in jenen Perl-
muscheln, die in den Meeren Ost- und Westindiens gefangen werden. Die
meisten gibt es an der Insel Ceylon und int persischen Meerbusen, und sie
werden dort zu einer gewissen Zeit des Jahres, gewöhnlich im Februar und
März, von Tauchern aus dem Meeresgrunde heraufgeholt. Diese Menschen
haben sich daran gewöhnt, mehrere Minuten lang unter dem Wasser aus-
halten zu können. Sie lassen sich aus ihren Booten an Tauen nieder, nach-
dem sie sich vorher einen schweren Stein an die Füße gebunden und Nase
und Ohren mit Baumwolle verstopft haben. Vor den Mund halten sie
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rettet; die Haare gebraucht man zum Polstern, zu Filz, und die Maurer
rühren sie unter den Kalk, daß er fester haftet; aus den Knochen und
Sehnen wird Leim gekocht, oder sie werden zu Dünger gebraucht; aus den
Hörnern macht man Pfeifenspttzen, Kämme, u. dgl.; das Rinderblut dient
zur Herstellung von Berlinerblan, zu Eisenkitt, zum Düngen und in den
Zuckersiedereien zur Reinigung des Zuckers; aus dem Fett und Talg werden
Lichter und Seife gemacht; die Galle benutzt der Maler und der Apotheker, auch
dient sie zur Bereitung der Fleckseife; den Kälbermagen gebraucht der Käse-
fabrikant, um die frische Mich gerinnen zu machen; aus den Füßen wird
ein vorzüglich feines Oel (das Klauenöl) gewonnen, das für Uhrwerke rc.
gebraucht wird. Außer allem diesen verdanken wir dem Rindvieh das wirk-
samste Gegenmittel gegen eine furchtbare Krankheit, die Blattern, an welchen
in frühern Zeiten oft Tausende von Menschen, besonders Kinder, starben.
Durch Einimpfung der Kuhpocke»», zuerst von dem englischen Arzte Jenner
angewendet und gelehrt, werden die Blattern fast immer sicher verhütet.
Das Rindvieh ist bei diesem großen Nutzen um so schätzbarer, als es
überall leben kann, wo es sein Futter findet: in Ebenen und Gebirgen, in
warmen und kalten Ländern. Ohne Rindvieh würde in den hohen Gebirgen
der Schweiz nicht die Hälfte der Menschen leben können, die jetzt darin
leben; ohne daffelbe würden manche der kalten Inseln in der Nordsee viel-
leicht ganz unbewohnt sein. Die gemäßigte Zone verdankt ihre dichte Be-
völkerung zum großen Theil dem Umstande, daß sie durch ihren Fntterreich-
thum eine besonders lohnende Rindvirhzucht ermöglicht. Vorzügliches Rind-
vieh ist in Hollands in Friesland und in der Schweiz. In der Schweiz,
auch in Tyroi und Steiermark, werden die Kühe im Spätfrühling, wenn
der Schnee von den Bergwctdcn geschmolzen ist, ausgetrieben und bleiben
dann deli ganzen Sommer über draußen unter Aussicht von Hirten (Sennen),
die höchstens alle Woche einmal ihre Heerde»: verlassen, um die in der Zeit
getvonnenen Käse abzuliefern. Hoch oben zwischen den Bergen steht die „Senn-
hütte", »vorin des Sennen oder der Sennerin Schlafstätte ist. Den größten
Theil derselben nehmen die Milch- und Käsekaininern ein. Hier wird täg-
lich aus der frischen Mtlch Käse gemacht, der berühmte Schweizerkäse, der
dann später in alle Welt versandt wird, und einen bedeutenden Handelsartikel
bildet. Solch schöner Käse kann aber auch nur da ge»vonnen werden, denn
nicht leicht anderstvo finden die Kühe so vorzüglich nahrhaftes Gras und
solch würzige Kräuter, als auf den Alpen»ve»den. — Holland, Friesland
und überhaupt die Niederungen an der Nordsee (die Marschen), haben vor-
zügliche Weiden. Die Viehzucht daselbst ist auch schon seit Jahrhunderten
berühmt, und die holländische Milchwirthschafl hat von jeher als Muster
gegolten. Westphalcn hat auf vielen Stellen, namentlich in den Flnßthälern,
gute Weiden. Wo cs an solchen fehlt, da müssen reichlich Futlerkräuter:
Klee, Esparsette rc. angeba»»t werden. Denn gutes und reichliches Futter
ist erste Bedingung, u»n den rechten Nutzen aus der Nindviehzucht zu er-
zielen. Altßerdem, daß bei guter Fütterung viel bessere und bedeutend inehr
Milch gewonnen »vird, gibt es auch bcsscrn und »nehr Dünger und hilft da-
durch dem Ackerbau auf. Die Bauernregel sagt: „Wer gut futtert, der gut
buttert!" Reinlichkeit und Ordnung sowohl im Stalle als in der Mllch-
kainmer locken die Füchse in die Tasche (nämlich die goldenen). Es ist für
jeden Viehbcsitzer, nmnentlich den Landwirts), von größter Wchtiqkeit, die
Natur des Viehes, d. h. dessen Eigenschaften und Bedürfnisse, die Wirkungen
verschiedener Futtersorten, die Aufzucht der jungen Thiere u. s. w. kennen
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Zuckerrohr reift gewöhnlich in Einem Jahre, und die rohrarttgen Stengel
sind dann wohl zwei Zoll dick. Nachdem cs reif geworden ist, wird es mit
krummen Messern abgeschnitten und in die Zuckermühle gebracht. Es be-
finden sich daselbst Estenwalzen, welche sich mit großer Kraft gegen einander
bewegen. Zwischen ihnen wird das Zuckerrohr zerquetscht, so daß der Saft
in ein darunter stehendes Gefäß stießt. Dabei kommt es nicht selten vor,
daß der Neger, welcher die Zuckerrohre zwischen die Walzen zu stecken hat,
selbst ergriffen und jämmerlich zerquetscht wird. Der süße Saft würde nun
bald zu gähren anfangen, wenn er nicht sogleich mit Kalkwasser gemischt,
geseiht und in großen Pfannen eingekocht würde. Man gießt ihn dann in
Gefäße, wo er einige Zeit stehen bleibt und einen gelben oder braunen Zucker
absetzt, welcher Farinzucker oder Rohzucker genannt wird und in Holz-
kisten oder Bastmatten zu uns eingeführt wird. Außer diesem Zucker wird
aber auch ein schwarzer Syrup gewonnen, welcher Melasse heißt. Man
mischt denselben mit Wasser und Hefe, worauf er gährt, und aus dieser ge-
fahrenen Masse desttllirt man das stark weingeistige Getränke, welches
Rum genannt wird.
Wenn der Rohzucker zu uns gekommen ist, wird er in eigenen Fabriken,
den sogenannten Zuckerrassinerten, gereinigt, so daß weißer Zucker daraus
entsteht. Zu diesem Zweck kocht man ihn mit Wasser und Eiweiß oder
Ochsenblut, damit er klar wird. Hierauf läßt man die Flüssigkeit durch
Beinschwarz fließen, wobei aller Farbcstoff beseitigt wird. Die reine Zucker-
masse wird nun in großen Pfannen eingekocht und in Formen gegossen.
Letztere haben an ihrem unteren, spitz zulaufenden Ende ein Loch, welches
jedoch zugestopft wird, und in ihnen erstarrt (krystallisirt) der Zucker als-
bald. Wenn hierauf der Pfropf herausgezogen wird, so fließt ein brauner
Zuckersaft ab, welcher Syrup genannt wird. Der weiße Zucker wird aber
aus der Form genommen und getrocknet und hat nun die Gestalt eines
spitzen Hutes. Der Hutzucker kommt in verschiedener Feinheit vor, je nach-
dem er mehr oder weniger weiß und hart ist. Der feinste wird Rafftnad
genannt. Melis und Lumpenzucker sind geringere Sorten. Wenn
man gereinigten, nochmals geläuterten und zur Syrupsdicke abgedampften
Zucker in metallene Kästen gießt, welche mit Fäden durchzogen stnv, und ihn
an einem starkgehetzten Orte verdunsten läßt, so setzen sich an die Fäden
ß Zuckerkrystalle an. Den hiedurch gebildeten harten Zucker nennt man
tö, und man unterscheidet nach der Reinheit braunen, gelben oder
weißen Kandiszucker.
Zucker findet sich aber nicht nur im Zuckerrohr, sondern auch in vielen
anderen Pflanzen, z. B. in den süßen Beeren und Früchten, in Feigen und
Rosinen, sowie auch im Honig. Die weißen Rüben, die Mohren, die rothen
Rüben schmecken ebenfalls süß wegen des Zuckers, den sie enthalten, die
Menge desselben ist aber verhältnißmäßig so gering in diesen Wurzeln, daß
seine Gewinnung die darauf verwendeten Kosten nicht decken würde. In
den Runkelrüben jedoch ist eine größere Menge Zucker enthalten, weß-
halb man sie im Großen anbaut und zur Bereitung von weißem Zucker
verwendet.
Farrnkräuter, Moose und Schwämme oder Pilze. Alle seit-
her betrachteten Pflanzen entstehen aus Samen, indem ein eigener Keim mit
Wurzel und Stamm die Samenhülle durchbricht; der Stamm treibt dann
Blätter, Blüthen mit Stempeln und Staubgefäßen, und aus den Frucht-
knoten entwickeln sich die Früchte. Es gibt aber noch eine in allen diesen
Beziehungen viel unvollkommenere Klasse von Pflanzen, welche zwar meistens
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raschesten bet feuchter, ruhiger Luft. Ihre Lebensdauer ist aber tu dem
gleichen Maße eine sehr kurze. Die holzigen und korkigen Schwämme wer-
den alter und leben Monate und selbst Jahre lang. Viele von den fleischigen
Schwammen sind eßbar und geben, einfach mit Butter und unter Zusatz von
Salz und Gewurzen geschmort, eine kräftige, immerhin aber etwas schwer-
verdauliche Speise. Zu den eßbaren gehören die Morchel, der Cham-
pignon, der auch häufig in Mistbeeten künstlich gezogen wird, der Ziegen-
bart, Steinpilz, Brätling, Semmelpilz und andere. Sehr ge-
schätzt ist die schwarze Trüffel, ein stammloser, den Kartoffeln ähnlicher,
unter der Erde wachsender Schwamm. Man läßt ihn gewöhnlich von Hun-
den aufspüren, die von Jugend auf durch Beimischung von Trüffelschaalen
unter das Futter für den Geschmack und Geruch desselben empfänglich ge-
macht worden sind.
Der Genuß von Schwämmen erfordert unter allen Umständen große
Vorsicht, da es auch viele giftige gibt. Man soll daher nur solche essen,
von deren Güte man vollkommen überzeugt ist, und auch sie dürfen nur
frisch und nach Beseitigung aller zähen oder wurmstichigen Theile genossen
werden. Unter den giftigen Schwämmen sind die bekanntesten der rothe,
mit weißen Flecken besetzte Fliege «schwamm, welcher seinen Namen da-
her hat, weil man ihn als Fliegengift anwendet, ferner der in den verschieden-
sten Farben vorkommende Täubling oder Spettäubling, derschwein-
ptlz oder Hexenschwamm, der Krötenschwamm und der Knollen-
blätterpilz.
Vor Erfindung der Reibzündhölzchen war der auf seiner Oberfläche
aschgraue, innen weichkorktge Zunderptlz sehr gesucht, da aus ihm Feuer-
schwamm bereitet werden kann, indem man die Oberhaut und die an der
untern Fläche sitzenden rostfarbenen Röhrchen wegschneidet und die übrig
bleibende Masse so lange klopft, bis sie locker wird. Um ihn zum Feuer-
schlagen tauglicher zu machen, wird er gewöhnlich noch in Wasser getaucht,
worin etwas Salpeter aufgelöst ist, und dann getrocknet. Der Feuerschwamm
dient, außer als Zunder, zur Stillung der Blutung, bei kleinen Hautwunden,
bet Blutegelsttchen u. dgl., soll aber^ wenn er zu diesem Zwecke verwendet
wird, nicht mit Salpeter behandelt worden sein. Der sogenannte Schimmel,
welcher sich auf im Verderben begriffenen Speisen, eingemachten Früchten,
auf Lederwerk, feuchten Wänden, aus der Tinte u. s. w. ansetzt, besteht aus
zahllosen, äußerst kleinen Pilzen. Diese sind jedoch so klein, daß man sie
unmöglich mit bloßem Auge sehen kann. Unter dem Mikroskop betrachtet
bietet der Schimmel ein überraschend schönes Bild.
Das Mineralreich.
Die Mineralien. Ebenso reich wie an Thieren und Pflanzen ist
die Erde an Mineralien. Gegenstände, welche in ihrer Masse
gleichartig sind, und an welchen sich keine besonders gebil-
deten Theile für besondere Zwecke unterscheiden lassen,
nennen wir Mineralien.
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der Salpeter, der Borar, der Alaun, der Vitriol, der Salmiak, das Glaubersalz und die
Laugensalzc (Pottasche).
Brennbare Mincraltm oder Erdharze, die sich leicht entzünden und mit einem
eigenen Geruch brennen, sind: Schwefel, Steinkohlen, (Diamant), Braunkohlen, Torf, Bcrgöl,
Asphalt oder Jndenpech, Bernstein, Ncißblct (Bleistift).
Die Metalle sind die schwersten Naturkörper, außerordentlich dehnbar und zähe, Wen
einen eigenthümlichen Glanz und lasten sich im Feuer schmelzen. Sie werden selten gediegen,
d. h. unvermengt mit fremdartigen Theilen, angetroffen. Gewöhnlich müssen sie erst aus
Erzstufcn, d. h. aus Steinen, in welchen Erz enthalten ist, geschieden werden. Man theilt
sie in edle und unedle, in Ganz- undhalbmctalle ein. Edle Metalle sind: Gold, Silber,
Platina. Letzteres übertrifft noch an Schwere das Gold und hat an Farbe mit Stahl und
Silber Aehnlichkeit. Unedle sind: Eisen, Magnet. Kupfer, Zinn, Blei, Quecksilber, Spieß-
glanz oder Antimonium, Arsenik, Zink, Kobalt. Diejenigen Metalle, welche man schmieden
kann, heißen G a n z m e t a l l e; die im Fcu er verflüchtigen, werden H a l b m c t a l l e genannt.
Grd- und Stetnarten. 1. Kieselerde. Unter der großen
Menge von Mineralien, woraus die feste Masse der Erde besteht,
findet sich keins so häufig, wie die Kieselerde. Denn nicht blos
zahlreiche ausgedehnte Felderstrccken aus Sandboden, sondern bei weitem
die 'meisten und höchsten Gebirge mit ihren gewaltigen Fclsblöckcn sind
aus derselben zusammengesetzt. Wer dies nicht sobald auf den ersten
Blick siebt, der kann sich durch Betrachtung der Erde auf dem Grunde
und an den Ufern der abfließenden Bache davon überzeugen, die Kiesel-
steine verschiedener Art und Sand aus den Gebirgen mit sich führen.
Metlenweite Strecken des Meeresgrundes bestehen ans Sand, lind die furcht-
baren Sandmeere oder Wüsten heißer Erdstriche, sowie die Steppen, was sind sie
anders, als solche Strecken? Sogar in das Gewacksreich findet die Kiesel-
erde ihren Weg. Mit Sauerstoff verbunden bildet sie Kieselsaure, und diese
ist ein Nahrungsmittel mancher Pflanzen, wie des Schilfes und der Gras-
arten. Die Ursache, warum man sich an manchen derselben verwunden kann,
sind kleine Kieselkrystalle, welche sich an deren Blatträndern abgelagert
haben. Sämmtliche Getreidearten und Gräser bedürfen mehr oder
weniger der Kieselerde als Nahrung. Die Gehäuse verschiedener Muschel-
thiere, sowie die panzerartige Hülle mancher Jnfusionöthierchen bestehen aus
dieser Erdart.
Nach Glanz, Farbe, Durchsichtigkeit und Härte werden die Kieselarten
unterschieden, und da ist ihre Mannigfaltigkeit groß; darum kann nur Be-
kanntes hier angeführt werden. Der Feuerstein kommt in verschiedenen
Ländern in Kalkhügeln vor, wie in England, auf der Insel Rügen, in Tyrol,
Steiermark und Frankreich. Seit dem Gebrauch der Reibzündhölzchen und
der Einführung der Zündhütchen an den Flinten hat er viel von seiner
früheren Wichtigkeit verloren und ist deßhalb seltener geworden. Indeß
wird er noch häufig als Zusatz der Masse des Steinguts, Glases und Por-
zellans gebraucht und selbst zu Dosen und Gefäßen verarbeitet,. Der Kiesel-
schiefer, durch eingjnnengte Kohlen grau oder gräulich schwarz, dient zum
Straßenbau, als Wetzstein und Probirstein, d. h. um zu untersuchen, wie
viel reines Gold oder Silber und wie viel Zusatz die rohen oder verarbeite-
ten Metalle dieser Art haben. Alte Völkerschaften des Nordens fertigten
ihre Streitäxte aus Kieselschiefer. Manche Edelsteine liefert die Kieselerde,
wie den milchweißen oder weingelben Opal, den fleischrothen Car neo l,
den Achat, den gelblichen Hyacinth, den violblauen Amethyst, den
Chal'cedon, woraus die Spielkugeln (Glücker) gedreht werden, und den
Bergkrystall. Dieser findet sich u. a. in den Alpen der Schweiz und
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waren lange Zeit durch dieselben am meisten berühmt. Der Sohn eine-
gewöhnlichen Häfners in England suchte Alles aus, was zur Veredlung und
Verbesserung seines Handwerkes diente, und durch ilm erhob sich sein zur
niedern Handarbeit gesunkenes Gewerbe zur Kunst. Er war später Herr
einer Fabrik, welche jährlich für 1 Million Gulden Waaren absetzte.
Fast ganz reine Thonerde ist der Porzellanthon, der in ausgedebten
Fabriken zu Gegenständen mannigfaltigster Form verarbeitet wird. Was
die Geschicklichkeit des Menschen in Fertigung des Porzellans zu leisten ver-
mag, läßt sich ähnlich wie beim Glase in den Läden der Städte am besten
wahrnehmen. Die Chinesen kannten seit alter Zeit die Bereitung des Por-
zellans; für Europa erfand solche ein Mann Namens Böttcher in Meissen,
indem er der Kunst, Gold zu machen, nachforschte. Zwar brachte er es
nicht zum Goldmachen, was nicht möglich ist, da Gold sich nicht aus andern
Stoffen zusammensetzen läßt; aber er fand dafür das, was Goldes werth
ist und woran er anfangs nicht dachte. Bald nach Auffindung des Porzellan-
thons in Sachsen wurden Lager davon in verschiedenen Theilen Deutschlands
entdeckt, und die großen Fabriken zu Wien, Prag, Berlin, Nymphenburg bet
München angelegt. Auch Frankreich, England und andere Staaten Europas
schätzten die' neue Erfindung und lernten von unserm Landsmanne. Die
Thonerde wird außer dem Genannten noch als wichtiges Material in der
Färberei gebraucht, indem die Zeuge, welche man färben will, vorerst in
eine Auflösung von Thon kommen, der die Farben später fester damit ver-
bindet; ferner ist sie nothwendig bei der Darstellung verschiedener Farben.
Die Walkererde wird zum Reinigen von Wollenzcugen angewendet, da
sie die fettigen Theile derselben einsaugt und die Tücher fester macht; außer-
dem bereitet man mit Terpentin und Seife die Fleckkugeln daraus. Von
den irdenen Tabakspfeifen soll die Rede nickt sein, wohl aber davon, daß
man aus einem Gemenge von Thon, Sand, gepulverten Kohlen, und Wasser-
mörtel sogar Pflastersteine gebrannt bat, welche große Härte besitzen. Einige
der schönsten Edelsteine gehören der Thonerde an, wie der Rubin, Saphir,
Smaragd und Granat.
Wir begegnen dieser Erdart somit unter sehr verschiedener Gestalt und
bet mannigfaltiger Verwendung. Sie durchwandert Werkstätten, Fabriken,
Gießereien, wo sie zu Formen dient, Baustätten, beschäftigt Künstler und
Handwerker, erscheint hier als eitler Sckmuck und dort als nützlicher Hausrath.
3. Kalkerde. Was im großen Haushalte der Natur oder im kleineren
des Menschen am nöthigsten ist, das bat der gütige Schöpfer mit wohlthätiger
Hand reichlich und nicht selten im Ueberfluß gegeben. Das häufige Vor-
kommen der Kalkarten liefert davon ein schönes Beispiel. Abgesehen von
den vielen Lagerstätten dieses Minerals zum Bedarf des 'Bauens kommt es
in ausgedehntm Gebirgen vor. Die stolzen Alpen der Schweiz und Tyrols,
der fränkische Landrücken, die Rauhalp, der Harz, Taunus, Jura, das
Küstenland Dalmatien, die Hügel Rügens und Englands, sowie die Apen-
ninen liefern Kalkgeftein in großer Mannigfaltigkeit. Eigenthümlich ist,
daß die Kalkfelsen in den Gebirgen große Höhlen bilden, die bald als Be-
hälter des Wassers jenen Quellen Nahrung geben, welche oft reichlich fließen
und dann auf einige Zeit versiegen, oder die vielgestaltigen Tropfsteine oder
selbst Thiergebetne, namentlich Ueberreste von Bären enthalten.
Bei weitem der meiste Kalk enthält einen ziemlichen Betrag von Kohlen-
säure, eine für das Athmen untaugliche und tödtlick wirkende Luft, welche
an manchen Stellen aus der Erde dringt,^ im Wasser der Sauerbrunnen
enthalten ist, in jeder Quelle im geringem Maße vorkommt, der Luft beige-
1864 -
Augsburg [u.a.]
: Rieger
- Hrsg.: Frey, Michael, Büschl, Andreas
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
208
mischt ist und stch aus gährendem Wein und Bier entwickelt. In der Hitze
entweicht die Kohlensäure aus dem Kalk, was durch das Brennen in Kalk-
öfen bewerkstelligt wird, und derselbe erlangt dann als Material zum Bauen
große Brauchbarkeit. Denn abgelöscht und mit Sand zu Mörtel oder
Mauerspetse bereitet, ist er das unentbehrlichste Bindemittel des Mauerwerks.
Zvm vollständigen Allstrocknen des Mörtels gehören, je nach der Dicke der
Mauer, 20, 30, ja selbst 100 Jahre, daher an sehr alten Bauwerken der
Mörtel von bewunderungswürdiger Festigkeit gefunden wird. Gebrannter
sowie gelöschter Kalk zieht indeß bald wieder Kohlensäure aus der Luft an,
wodurch er seine Brauchbarkeit verliert. Um dies zu verhüten, wird er von
Maurern in Gruben gebracht und mit Erde bedeckt.
Bei Wasserbauten bedient man sich eines Mörtels aus Kalkbrei mit
einem Zusätze von gebranntem und fein gepulvertem Thon, eine Mischung,
welche unter Wasser sehr bald erhärtet. In manchen Gegenden, wie in der
Eifel und dem Habichtswaldc, kommt dieser Waffermortel von der Natur
gebildet vor und ist unter dem Namen Traß bekannt. Da der Kalk ätzend
ist, so wendet ihn der Gerber an, um die Haare von den Häuten wegzu-
beizen; nebstdem hat ihn der Färber nöthig, besonders aber der Seifensieder
zur Bereitung der ätzenden Lauge, worin sich der Talg auflösit. Aus der
dadurch entstehenden breiartigen Masse wird dann die Seife geschieden. Bei
der Glasfabrikation ist Kalk als Zusatz erforderlich, um das weiße oder
Milchglas zu erhalten, woraus die Schirme der Lampen gemacht werden.
Unrecht wäre cs, hier nicht auch der Kreide gedenken zu wollen, welche
in so vielen Unterrichtsstunden zur Hand sein muß. Aber hierdurch erfüllt
sie ihren Zweck noch nicht ganz; denn verschiedene Handwerker bedürfen
ihrer zum Zeichnen auf Holz und Stein. Sie dient zum Tünchen, zum
Grund für Holzverzierungen, als Uebcrzug für Pergament und mit Leinöl ver-
mischt zu Glaserkitt.
Von allen Kalksteinen ist der Marmor von jeher wegen seiner Ver-
arbeitung am meisten geschätzt worden. Unter dem Meißel des Bildhauers
wird er gum schönen Standbilde; als Verzierung in Kirchen und Pracht-
gebäuden kommt ihm tein anderes Gestein gleich. Säulen, Altarplatten,
Gesimse, Grabsteine, Urnen, Leuchter, Tischplatten und viele andere Gegen-
stände aus Marmor zeichnen sich durch Schönheit und Kunst aus. Bis-
weilen sind die inneren Wände der Kirchen mit einer Marmorbekletdung belegt.
Am gesuchtesten ist das Mineral von weißer Farbe; jedoch kommt es nicht
häufig vor, da eingemengte Kohle und Metalloryde es sehr abändern. Hin
und wieder wünscht man farbigen Marmor und beizt ihn zu manchen Schat-
tirungen. Kleinere solcher Stückchen setzten die Künstler der alten Römer
auf Fußböden und Wänden zu Bildern und Figuren zusammen, wovon man
bei Ausgrabungen heutigen Tages, noch Ueberreste auffindet. >
Eine wichtige Anwendung des Kalksteins findet in der Lithographie
Statt. Der Lithograph gräbt mittelst eines stählernen Griffels Bilder in die
wohlgeebnete Steinplatte und solche werden mit schwarzer Farbe überfahren
und abgedruckt. Gleicherweise werden die Landkarten verfertigt. Die litho-
graphischen Steine von Solenhofen und Pappenheim bet Eichstätt sind für
diesen Zweck berühmt. In ganz anderer Hinsicht erscheint ein Produkt des
Kalksteins auf den Spielplätzen der Kinder, wenn die Frühlingssonne den
Schnee weggeräumt und die Straßen getrocknet hat. Da, wenn der Ftnken-
schlag den Garten wieder belebt, das Bachftelzchen auf dem Dache seinen
Lockton hören läßt, Veilchen und Schneeglöckchen aus dem kahlen Gebüsche
nach dem Frühlingslichte hinaufsehen, werden die Glücker, auch Marmel
1864 -
Augsburg [u.a.]
: Rieger
- Hrsg.: Frey, Michael, Büschl, Andreas
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
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209
oder Schusser genannt, herbei geholt, und sie rollen, den kleinen Gewinn zu
erlangen, dem Ziele zu. Bekanntlich fehlt es dabei nicht an lebhafter Unter-
haltung, mitunter wird sie auch ein wenig laut. Die Sptelkugeln werden
in eigenen Mühlen aus Gestetnbrocken gefertigt und selbst tu Menge nach
fremden Erdtheilen geführt, wo Wilde sie gegen ihre Landeserzeugnisse gierig
eintauschen. Eine beträchtliche Anzahl wird auch aus Thon gemacht.
Im Ackerboden erlangt die Kalkerde eine besondere Wichtigkeit als Nah-
rungsmittel der Pflanzen und bildet in dieser Hinsicht mit Thon die frucht-
baren Mcrgelfelder. Wirklich findet sie sich im Wetzen, Korn, der Gerste,
den Bohnen, dem Reis und am reichlichsten in den Erbsen. Indem wir
diese Gctreidcartcn genießen, erhalt unser Körper den Stoff, woraus die
Knochen, Zahne und zum Theil das Blut bestehen. So wird gleichsam das
starre Mineral lebendig und erfüllt sehr wichtige Bestimmungen, woran
Mancher nicht denkt. Jede Mahlzeit wiederholt demnach täglich den ernsten
Spruch ohne Buch und Buchstaben: Mensch, du bist aus Erde, und was
du auö derselben nimmst, mußt du ihr einst wieder geben. Die Natur redet
oft sehr verständlich, nur muß man ihre Sprache ein wenig verstehen. —
Erhalten die Hausthiere ausschließlich solches Futter, worin kein Kalk vor-
kommt, wie Wurzelgewächse und Oelkuchen, so werden sie knochenbrüchtg,
was nicht der Fall ist, wenn obigem Futter Heu und namentlich Klee bei-
gegeben wird. Hühner und Tauben, überhaupt alle Vögel, fressen Kalk,
weil er ihnen zur Bildung der Eierschalen nothwendig ist. Muscheln und
Korallen bestehen aus Kalk, den die Thiere zur Bildung ihrer Wohnungen
reichlich von sich geben. Da das mineralarme Holland Mangel an Kalk
hat, so glüht man daselbst die Muscheln des Meeres in erstaunlich großer
Menge und gewinnt dadurch den Bedarf zu einem ausgezeichneten Mörtel.
Wunderbar! Die unscheinbare Kalkschale, welche ein noch unscheinbareres
Thierchen, das keinen Laut der Freude oder des Schmerzes hat, in der Mceres-
tiefe schützte, wohin kein Sturm dringt, befestigt die Wohngebäude volkreicher
Städte mit geräuschvolleu Straßen, geschäftigen Menschen, ihrem Reichthum
und Erwerb, wie ihren Sorgen und'mühen.
Vom Ackerboden. Die oberste Erdschichte wird überall, wo irgend
Etwas wächst, Ackerboden auch Ackerkrume genannt, weil dieser Theil
des Bodens krümlich, gewissermaßen der Brodkrume ähnlich ist. Was unter
der Ackerkrume liegt, hat gewöhnlich eine andere Farbe und heißt der Un-
tergrund. Da jeder Ackerboden hauptsächlich aus verkleinerten, gepulverten
Gesteinen, Sand, Thon besteht, so ist zwischen dem obersten Theile des
Untergrunds und der darauf liegenden Ackerkrume kein eigentlicher Unter-
schied, nur sind der letzteren außer den erdigen, steinigen Bestandtheilen noch
verwesende Pflanzen- und Thterstoffe beigemischt. Ein an solchen organischen
Stoffen reicher Boden wird Damm erde oder auch Moderboden ge-
nannt. An manchen Stellen ist der Sand vorherrschend, und man hat dann
einen K i ese lsandb öden. Ist eine gewisse Menge Kalk im Boden, so
heißt er Kalkboden; bei vorherrschendem Thon oder Lehm Thonboden
oder Lehmboden; und ist Kalk mit Thon und Sand in gewissen Mengen
verbunden, so nennt man einen solchen Boden Mergelboden.
Ans der Ackerkrume ziehen die Pflanzen die Hauptmasse ihrer Nahrung,
indem ihre Wurzeln theils gasförmige, theils mineralische, im Wasser geloste
Stoffe an sich ziehen, aufsaugen und allen übrigen Theilen der Pflanzen zu-
führen. Da die einen Pflanzen nicht dieselben Nahrungsstoffe erfordern wie
die andern, so hängt von einem guten Mischungsverhältnisse der Bodenbe-
ftandthetle sehr viel ab, wenn es'sich um die Frage handelt, welche Nutz-
Schul- und Lesebuch. Il Theil. 14